Die ökologische Bedeutung des Wassers

Statement von Prof. Dr. Wolfgang Haber zum Symposium des Alpenforums:
"Wasser - Flüssiges Gold der Alpen" am 4. Juni 1998 in Murau

Die so einfach strukturierte chemische Verbindung Wasser (H2O) ist aus ökologischer Sicht eine ganz einzigartige Substanz. Sie ist in allen drei Aggregatzuständen - fest, flüssig, gasförmig - in der Umwelt vorhanden und ökologisch wirksam. Eis und Schnee speichern Wasser und entziehen es für kürzere oder längere Zeit dem Kreislauf. Wasserdampf bedingt über die Luftfeuchte nicht nur die Niederschlagsregime, sondern auch Struktur und Lebensaktivität der Pflanzendecken. Flüssiges Wasser prägt in Form der Gewässer den Planeten Erde, von deren Oberfläche sie zwei Drittel bedecken, durchdringt als Substanz, als Grundwasser wie als Bäche, Flüsse und Seen, aber auch große Teile des festen Landes mit lockernder, lösender, abtragender und anschwemmender Wirkung; so verdanken wir ihm auch weithin die Gestalt der Kontinente, vor allem der Gebirge.

Ganz entscheidend ist die Substanz Wasser für alle Lebewesen, die die lebensnotwendigen Stoffe nur mittels Wasser als Lösungsmittel oder als Trägersubstanz aufnehmen können; und die meisten lebenswichtigen biochemischen Umsetzungen in den Organismen bedürfen des wässrigen Zustandes. Diese Rolle erfüllt Wasser geradezu ideal, weil es ungewöhnlich viele Stoffe in einer weiten Spanne von Bedingungen zu lösen oder aufzuschließen vermag. Für die Lebewesen der Erde ist Wasser daher das Lebensmedium: für die Gewässerorganismen das äußere und innere, für die Landlebewesen nur das innere Medium, das gegen die Luft als Außenmedium mindestens in den Zeiten normaler Lebensaktivität gut isoliert sein muss.

Wasser ist insofern auch ein unverzichtbares Nahrungsmittel für die Lebewesen von eigentlich unschätzbarem Wert; es mit Gold zu vergleichen ist also durchaus gerechtfertigt. Zwar ist Wasser auf unserem Planeten weitaus häufiger als Gold, aber dennoch ist es räumlich wie zeitlich ungleichmäßig verteilt und zugänglich. Daher gibt es zeitweilig oder ständig wasserarme und wasserreiche Landgebiete auf der Erde. Besonders wasserreich sind die in humiden (niederschlagsreichen) Gebieten liegenden (Hoch-)Gebirge, zu denen auch unsere Alpen gehören - weil sie wasserdampfreiche Luftmassen durch abkühlenden Aufstieg auf der Luvseite zum Ab- oder Ausregnen veranlassen und die Niederschlagsmengen gegenüber dem flacheren Land erheblich erhöhen. Da diese die natürlichen Speicherkapazitäten und den biologischen Bedarf meist weit übersteigen und, dem natürlichen Gefälle folgend, abfließen, steht dem umgebenden Flachland ein Wasserüberschuss zur Verfügung. Dieser wird z.T. sogar "dosiert", denn die Niederschläge fallen im Winter - und in den höheren Gebirgslagen auch in der übrigen Jahreszeit - überwiegend als Schnee, der als solcher oder verfirnt kürzer- oder längerfristig Wasser speichert und je nach Temperatur wieder flüssig abgibt.

Dieser natürliche Wasserüberschuss ist dem hohen Wasserbedarf der modernen Zivilisation höchst willkommen und verführt zur Wasserverschwendung, die tatsächlich auch eingetreten ist und anhält, sich sogar steigert und nun, wie dieses Symposium mit bewirken will, Gegenmaßnahmen herausfordert.

Besondere Anforderungen gelten dem Trinkwasserbedarf der Bevölkerung, für den nicht nur große Wassermengen, sondern auch qualitativ hochwertiges Wasser benötigt werden. Wasser aus Gebirgen, sowohl Grund- als auch Oberflächenwasser, hat den Ruf besonderer Reinheit, und wird daher oft zum Maßstab für beste Wasserqualität genommen. Doch wir unterliegen hier einer Täuschung, denn das Wasser in der Natur ist niemals rein im Sinne von "chemisch rein", sondern immer eine Chemikalien-Lösung. Dies kann gar nicht anders sein, weil Niederschlags-, Grund-, Quell-, Bach- und Flusswasser sich ja ständig in Kontakt mit verschiedenen gasförmigen und festen Substanzen befinden und Teile davon in sich aufnehmen, oft sogar mit ihnen chemisch reagieren - manchmal mehr, manchmal weniger, je nach Löslichkeit oder Reaktionsfähigkeit der Substanzen. Darin kommt auch die erwähnte hohe Lösungsfähigkeit des Wassers zum Ausdruck. Hausfrauen und Hausmänner, die selbst Wäsche waschen, kennen die Wasserhärte als chemische Eigenart des Wassers, aber sie kommen wohl nicht auf den Gedanken, hartes, d.h. calciumcarbonatreiches Wasser als "unrein" zu bezeichnen. Viele natürliche "Mineralwässer", die in Heilbädern getrunken werden oder als Getränke käuflich sind, enthalten ja, wie der Name sagt, verschiedenartige Mineral- oder anorganische Substanzen, die auf den Etiketten der Flaschen in z.T. langen Listen aufgeführt sind, darunter auch Stoffe wie Nitrat, Chlorid, Fluorid, ja sogar Schwermetalle, die in anderen Zusammenhängen als Verschmutzungsstoffe aufgefasst werden.

Wirklich "rein" wäre nur destilliertes Wasser, das aber gesundheitsschädlich ist. Es ist also schwierig, einen allgemeinen Maßstab für "reines", unverschmutztes Wasser zu finden. Daher sind bestimmte Chemikalien nach allgemeiner Übereinkunft der Fachleute (einschließlich der Mediziner) als unerwünscht oder als Schadstoffe deklariert worden, von denen das Grundwasser entweder ganz frei sein soll oder nur kleinste, als Höchst- oder Grenzwerte festgesetzte Mengen enthalten darf. Besonders unerwünscht sind chemische Pflanzenschutzmittel (Pestizide), von denen im Grundwasser in der EU höchstens 0,1 µg/l für ein einzelnes Mittel, 0,5 µg für die Summe aller Mittel geduldet werden. Dagegen liegen Grenzwerte von z.T. toxikologisch viel bedenklicheren Schwermetallen um eine Zehnerpotenz höher. Reinheit erfordert auch Freisein oder geringstmögliche Gehalte von Mikroorganismen und von organischen Substanzen. Es sei noch vor einer weiteren Täuschung gewarnt: Klares, ja kristallklares Wasser, z.B. in einem Bergbach, ist nicht zwangsläufig auch "rein", denn es kann durchaus Schadstoffe oder gar Krankheitserreger enthalten.

Für die Reinhaltung oder reinigende Aufbereitung von Trinkwasser werden große Anstrengungen unternommen und viel Geld aufgewendet. Aber wie gehen wir denn mit dieser hohen Qualität um? Wirklich getrunken werden pro Kopf nur wenige Liter pro Tag. Viel größere Mengen dienen Reinigungs- und Beseitigungszwecken - man denke an die Wasserspülung in den Toiletten, ein Prinzip, das in jüngerer Zeit ja sogar auf die Viehställe ("Flüssigentmistung" mit dem "Produkt" Gülle) ausgeweitet wurde - oder der Bewässerung von Pflanzen und Gärten, vor allem Rasenflächen. Es ist zu bezweifeln, ob diese verschwenderische Verwendungsart von Wasser mit Trinkwasserqualität in alle Zukunft fortgesetzt werden kann. In vielen tropischen Ländern wird Trinkwasser, d.h. Wasser zum Trinken oder zum Bereiten von Getränken, nur noch in Flaschen oder eigenen Behältern angeboten, während das Leitungswasser nicht mehr trinkbar ist (bei uns ist dies schon in Eisenbahnen und Flugzeugen üblich). Das Bild des "flüssigen Goldes" wäre also auch bezüglich der Verwendung zu beherzigen!

Vita Prof. Dr. Wolfgang Haber