Bericht zur Tagung

Energieautarkie im obersten Murtal“

 

 

Freitag, 21. Oktober 2011, 18.30 -21.30 Uhr, Rathaus, 8850 Murau, Land Steiermark

Bei schönem, klarem, aber kaltem Wetter traf man sich um 16.00 Uhr beim neuen Biomasse-Fernheizwerk. Alle, die eine Führung im warmen Heizwerk erwartet hatten, wurden enttäuscht: Das riesige, am Hang gebaute Heizwerk ist noch eine Baustelle, was aber auch die Chance bot, Einblicke in die Konstruktion zu haben, die nach Fertigstellung verwehrt sind.

Herr Ing. Woitischek, Geschäftsführer der Stadtwerke Murau, erläuterte mit engagierten Worten die Ziele der Murauer "Energievision 2015". Ein großes Anliegen war dabei, die Umstellung der beiden großen Wärmeverbraucher Stolzalpe-Krankenhaus und Brauerei Murau auf Biomasse. Nachdem das bestehende Biomasse-Fernheizwerk St. Egidi sich außerstande sah, dieses große Projekt in Angriff zu nehmen, gelang es den Stadtwerken Murau, die schon über 20 Kleinwasserkraftwerke der Region betreiben, diesen Brocken zu heben und in ein überzeugendes Projekt auszuarbeiten. Während der Bezirk Murau schon Stromüberschüsse produziert, wird der Raumwärmebedarf erst zu ca. 2/3 gedeckt. Mit dem neuen Werk sollen über 1 Mio. Liter Öl substituiert werden. Damit kommt man der Selbstversorgung mit Raumwärme schon sehr nahe. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, eine Reihe von Wohnsiedlungen, die derzeit. elektrisch beheizt werden, auf Biomasse umzustellen. Das Fernheizwerk mit einer geplanten Leistung von 12 MW im Endausbau verfügt über einige interessante Einrichtungen zur Effizienzsteigerung und wird einen Wirkungsgrad von 75-80% erreichen. Die Hackschnitzel sollen vor allem aus Rest- und Abfallholz aus den örtlichen Wäldern (welches sonst ungenutzt liegenbleibt) gewonnen, an Übergabestellen gelagert, zentral gehäckselt und am Hang oberhalb des Heizwerks in Silos abgefüllt werden. Während üblicherweise die Hackschnitzel im Freien gelagert werden, gibt es hier zwei mächtige Silos, die auch verantwortlich sind für die ungewöhnliche Baugröße des Heizwerkes.

In den Silos kann das Hackgut mit Abwärme vorgetrocknet werden, um den Verbrennungsvorgang entsprechend zu optimieren. Weiterhin gibt es eine Holzvergasungsanlage, wobei das Holzgas mit Gasmotor und Generator zur Stromerzeugung verwendet wird.

Zum Erstaunen der zahlreichen Zuhörer waren einige Rohre im Werk schon warm. Die Rohrleitungsnetze sind bereits fertig, und beim Hallenbad Murau gibt es eine Verbindungsstelle mit dem Netz des Werkes St. Egidi, sodass bereits Warmwasser zirkuliert. Die Wärmeproduktion  des neuen Fernheizwerks wird im Dezember beginnen; für April ist das Eröffnungsfest geplant.

Mit alkoholischen Getränken, die wieder Wärme in die kalten Füße brachten, wurde diese eindrucksvolle Führung abgeschlossen.

Nach diesem eindrucksvollen Rahmenprogramm wurde das eigentliche Tagungsprogramm im Rathaus Murau fortgesetzt. Das neue Rathaus mit seiner eher unscheinbaren Fassade ist eine atemberaubende architektonische Konstruktion, wo das 13 Jahrhundert mit dem 21. Jahrhundert eine überaus heimelige Synthese eingeht. Die alten Gemäuer am Schlossberghang verbinden sich hier mit einer Holz-Glas-Konstruktion zu einem bodenständig-futuristischen Ambiente, welches den Willen der Region zu einer nachhaltigkeitsorientierten Zukunftsentwicklung besser vermittelt als viele Worte.

Gegen 18.40 Uhr konnte die Obfrau des Alpenforums, Ingeborg Meerkamp van Embden, die Tagung vor dem bestens gefüllten Vortragsraum mit launigen Worten eröffnen.

Bürgermeister Thomas Kalcher verwies auf die langjährigen, guten Kontakte zum Alpenforum, schon unter seinem Vor-Vorgänger, seinem Vater, und auf das engagierte Wirken der Stadtwerke Murau, einer Tochterfirma der Stadtgemeinde.

DI Josef Bärnthaler gab einen eindrucksvollen Überblick über die Bemühungen im Rahmen der Energievision Murau: Zahlreiche Biomasse-Kraftwerke im ganzen Bezirk, über 50 Kleinwasserkraftwerke, zahlreiche Akzente bei energiesparender Bauweise, ganz neu die sanierte Hauptschule Neumarkt in Passivhausstandard.

Univ. Prof. DI Thomas Amon von der BOKU Wien berichtete eindrucksvoll von den Forschungsfortschritten auf dem Gebiet der Biogaserzeugung. Während derartige Anlagen in Güssing oder auch im Flachgau von Gunstlagen mit wesentlich längerer Vegetationszeit als im Lungau oder in Murau profitieren, sei es inzwischen möglich, die Anlagen viel mehr auf die örtlich verfügbaren organischen Abfallstoffe abzustimmen. Deshalb ist es nicht richtig, einer Region mit Höhenlagen über 1000 m die Eignung für die ausreichende Produktion organischer Ausgangsstoffe für die Biogaserzeugung abzusprechen. Eine Biogasanlage in vergleichbarer Höhenlage in Südtirol beweise dies. Entscheidend sei eine sorgfältige Abstimmung der Ressourcen, beginnend bei der richtigen Fruchtfolge, über eine ausgeklügelte Sammellogistik für alle organischen Abfallstoffe aus der Landwirtschaft, Tierhaltung, Touristik (Küchenabfälle), Gartenschnitt u.v.a.m. bis zu einer sorgfältigen Abstimmung der Gärungsprozesse und der baulichen Ausführung der Gärkammern. Durch entsprechende Justierungsversuche kann die energetische Effizienz (und damit auch die Wirtschaftlichkeit) um mehr als das Vierfache  gesteigert werden. Grundsätzlich ergibt sich auch ein namhafter Klimaschutzeffekt, da in der Landwirtschaft sehr viel Methan- und Geruchsbelästigung anfällt, was im Zuge der Biogaserzeugung aufgefangen werden kann, sodass damit nicht nur der Treibhauseffekt vermieden, sondern auch die energetische Nutzung ermöglicht wird. Prof. Amon verweist auf die gasbetriebene Pistenraupe im Lungau. Alle landwirtschaftlichen Geräte und auch die Kraftfahrzeuge könnten mit Gas betrieben werden.

Dr. Josef Resch von der Salzburg AG freut sich, hier außerhalb der Grenzen seines Verantwortungsbereiches im Bundesland, Salzburg auch kontrovers und ungeschminkt seine Meinung sagen zu können. Viele Vorurteile werden in Frage gestellt; viele Forderungen der Behörden, die einander widersprechen und zu einer Blockade von Projekten führen. Wenn es darum geht, Ökostrom wirtschaftlich zu produzieren, schneidet die Wasserkraft sehr gut ab, auch die Windkraft ist günstig. Solarenergie erfordert hohe Förderungen. Dazu kommt die Notwendigkeit von leistungsfähigen Speicherkraftwerken und einer ausreichenden Leitungskapazität. Ein Problem ist auch die "bei-mir-nicht“ Mentalität der Bevölkerung, wenn es um neue Ökostromprojekte geht.

Es ist gar nicht so lange her, dass Solaranlagen auf Dächern wegen angeblicher Blendungsgefahr für Straßenverkehrsteilnehmer nicht bewilligt wurden.

Und während allgemein der Energieverbrauch vom Wirtschaftswachstum entkoppelt ist, trifft dies für den Stromverbrauch leider nicht zu. Auch das große Stromsparpotential bei jedem Einzelnen werde noch viel zu wenig wahrgenommen; hier wird sich wahrscheinlich erst bei einem wesentlich höheren Energiepreisniveau etwas bewegen. Mit der Dezentralisierung der Stromproduktion kommen auch ganz neue Herausforderungen an die Leitungs- und Steuerungstechnik: billig wird das nicht.

Bezüglich Elektromobilität ist die dreifache Energieeffizienz der E-Fahrzeuge gegenüber herkömmlichen anzumerken. Beim Gesamtenergieverbrauch ist der Verkehrsanteil mit einem guten Drittel der einzige Bereich, wo es nicht gelingt, den fossilen Energieverbrauch in den Griff zu bekommen. Lungauer oder Murauer Pendler mit Fahrwegen über 100 km können mit dem derzeitigen Elektroautos jedenfalls nicht bedient werden. Hier kann wahrscheinlich nur die Umrüstung auf Gas helfen, wo auch die Salzburg-AG schon Initiativen gesetzt hat.

Abschließend ergibt sich der Eindruck, dass mit der Energievision Murau schon sehr viel geleistet wurde. Den Teilnehmern wurde aber auch klar, dass die Sache wesentlich komplizierter und in sich widersprüchlicher ist, als es von außen ausschaut. Auch in Güssing, dem Wallfahrtsort der Energieautarkie, gibt es Probleme, die man im Rahmen der fortgeschrittenen Entwicklung heute schon besser lösen könnte.

Bei der Podiumsdiskussion konnten noch etliche Detailfragen diskutiert werden, die auch bis ins Grundsätzliche wie der Frage nach der Notwendigkeit des Wirtschaftswachstums reichten. Prof. Amon wies noch darauf hin, dass er und seine Studenten auch Machbarkeitsstudien zur Möglichkeit von lokal abgestimmten Biogasanlagen und ihrer voraussichtlichen Wirtschaftlichkeit machen, denn aus dem Handgelenk könne man nicht abschätzen, ob und wie z.B. für die Region Lungau-Murau eine Biogasproduktion möglich sei.

Das exzellente Buffet vom Hotel Lercher ermöglichte einen vergnüglichen Tagungsausklang bis gegen 22 Uhr. Die Teilnehmer gingen sicher mit dem Eindruck nach Hause, dass sie stolz auf ihre Modellregion sein können, dass man sich aber noch sehr vielen schwierigen Fragen stellen muss, wenn die Entwicklung überzeugend in Richtung Nachhaltigkeit weitergehen soll.